- Die Qual der 90 Stunden
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( Marathon-Fahrt Spa - Sofia - Lüttich )



Bericht aus: " Kristall "

Die aussergewöhnliche Illustrierte - 19 Jahrgang 1964 / Heft 22


( - Quelle: Zeitschrift Kristall - Text :Rolf Winter - )



Ü
ber Schotterwege und Paßstraßen hetzen sie ihre rüttelnden Wagen. 5500 Kilometer lang spüren sie nur Hitze, Getöse und Erschöpfung. Durch Tag und Nacht jagen sie von Belgien nach Bulgarien und von Bulgarien zurück nach Belgien.

Das ist:

- Die Qual der 90 Stunden -

Still liegen die Täler unter dem Passo di Xomo in Norditalien und schlafen. Von irgendwo treibt ein leichter Wind das Klingeln von Kuhglocken vor sich her, und tief unten liegt um ein spitztürmige Kirch ein namenloses Dörfchen und sieht aus, als sei es aus Spielzeug aufgebaut. Die Sonne scheit am wolkenlosen Himmel. Es ist ein schöner, warmer, friedlicher Nachmittag.

Bis sie kommen. Sie kommen jäh, wie bösartige
Invasoren aus einer anderen Welt.


Mit brüllenden Motoren,mit durchdrehenden Rädern kommen sie wild schwankend auf dem wüsten Schotterweg daher, der sich sandig und steinig durch die Berge zieht. Sie zwingen ihre mörderisch rasenden Autos durch Spitzkehren, schwere Steine springen gegen Kotflügel, schleudernd ziehen die Wagen dichte Staubfahnen hinter sich her, in denen die nachfolgenden verschwinden. Die eben noch friedlich schlummernden Täler sind plötzlich erfüllt von Getöse hochgetourter Motoren, von durchdringenden Tremolo-Hupen, vom Scheppern der Steine an Autoblech.
Kein Blick haben die Fahrer und ihre Co-Piloten für die Schönheit der Landschaft, keine Sekunde, in der sie sich ungestraft entspannen dürfen. Der angeschnallte Beifahrer sieht nichts als sein Bordbuch, aus dem er dem Piloten vorliest:

"Rechtskurve, 35 Stundenkilometer - 200 Meter Garade, Vollgas - Spitzkehre links - Vollgas 100 Meter - Spitzkehre rechts."

Und der Fahrer sieht nichts als die steinige Piste, gibt Gas, schaltet, bremst, Gas, Kupplung, Gas, Vollgas - schneller, schneller, noch schneller. Seit 18 Stunden. Seit gestern abend 22 Uhr. Mit ungeheurer Wucht und ekelhaften Geräuschen schlagen Bodenbleche auf die steinige Erde. Mensch und Wagen - umgeben von Staub und höllischen Lärm - werden durchgeschüttelt. Hier kann der Fahrer nicht mogeln und nicht das Auto. Hier kann man keine Schow mit Rallyestreifen und keinen sportiven Playboy-Firlefanz machen. Dieses ist hier alles kein Kriterium.
Denn hier, auf dem schmalen Schotterweg am Passo di Xomo, läuft die 18. Stunde des mörderischsten Kampfes des an mörderischen Kämpfen reichen Automobilsports: Die Rallye Spa - Sofia - Lüttich, und sie wird noch 72 Stunden dauern und über noch verwegenere Streckenteile gehen.

90 Stunden dauert diese Rallye, und eine einzige, lächerliche kurze Stunde Pause gibt es. 5500 Kilometer lang ist diese Rallye, und unendliche Kilometer sind darunter, halsbrecherische Kilometer auf ungeschützten Geröllstraßen im Hochgebirge, mit tödlichen Absprüngen auf der einen und tödlichen Felsvorsprüngen auf der anderen Seite.

90 ewige Stunden lang kann auf dieser Rallye jedes Versehen
das Ende bedeuten.

90 ununterbrochene Stunden lang muß der Wille konserviert werden, weiterzumachen, nicht einzuschlafen, nicht der lähmenden Erschöpung nachzugeben, die irgendwann einmal jeden überfällt.

90 lange Stunden müssen Fahrer und Co-Pilot, die einander am Lenkrad abwechseln, an der Grenze des gerade noch möglichen fahren.

Nicht bloß nach 18 Stunden am Passo di Xomo, sondern auch in der 75. Stunde und der vierten durchwachten und durchfahrenen Nacht am Passo di Gavia, wo der Geröllweg zwei Meter breit und links das abgründige Nichts ist:

- Gas, schalten, abbremsen, Spitzkehre, Vollgas - schneller, schneller, da ist schon im Rückspiegel das antreibende Licht des Nachfolgers, Gas, Gas, Vollgas -

90 Stunden lang Temperaturen, die auf den italienischen, jugoslawischen und bulgarischen Streckenteil auch nachts nicht unter 30 Grad sinken und das Auto am Tage zur dreckigen Sauna macht.

90 Stunden lang alles durchdringender Staub der Vorderleute.

90 Stunden lang kein vernünftiges Essen, das belasten und müde machen würde, sondern bloß Traubenzucker und manchmal ein Schluck aus einer >schnellen Flasche<.
90 Stunden lang kein tiefer Schlaf, nur manchmal fünfzehn oder zwanzig halbwache, unruhevolle Minuten, wenn die Straße das für den Ko-Piloten zuläßt und er sein
Bordbuch einmal zuklappen kann.

Und 90 Stunden lang die Sorge, ob das Auto diese Marter übersteht.

Nicht viele überstehen.



Am ersten Kontrollpunkt Karlsruhe

1. Kontrollpunkt Karlsruhe auf der Fahrt nach Spa / Belgien .

Am Steuer des Mercedes 230 SL Pagode sein Beifahrer Klaus Kaiser.

In den beiden letzten Jahren, als Mercedes glanzvoll siegte, fielen von je zehn Wagen, die im belgischen Kurort Spa starteten, neun auf der Strecke aus. In diesem Jahr kommen von 107 gemeldeten Fahrzeugen immerhin 21 in Lüttich an.
Aber was in Belgien nach 90 Stunden umjubelt ins Ziel rollt, sind zerschundene, bis zum Fragwürdigen zerschunden Wagen - und Menschen. Sie haben Strapazen hinter sich, für die es kein Gleichnis gibt. Und wenn die Menschen in Lüttich aus ihren Autos steigen, mit staksigen Beinen und fahrigen Händen, haben 5500 Kilometer ihre Spur in die Gesichter eingegraben.

Es gibt die verbürgte Geschichte von einem Fahrer dieser Rallye, der in der vierten Nacht mit starren Augen seinen Ko-Piloten ansah und fragte:

"Sag mal, wie heißt du eigentlich?"

Es gibt die Geschichte von dem Beifahrer, der am Abend nach der Rallye Spaghetti bestellte, sich Zahnstocher in die Nudel schüttete, davon aß und dann
am Tisch in einen todesähnlichen Schlaf fiel.

Es gibt die vielen, vom Veranstalter mit Diskretion behandelten Geschichten und Tragödien jener Fahrer, die irgendwo auf den 5500 Kilometern zusammbrachen.
Und es gibt auf jeder Rallye zwischen Spa, Sofia und Lüttich am Rande der Piste Dutzende von bös zerbeulten Wagen, die bezeugen, daß bei diesem Unternehmen der Bruchteil einer unaufmerksamen Sekunde gnadenlos quittiert wird.

Nein, diese Rallye ist kein Sonntagsvergnügen; man muß Ihr Opfer bringen.


"Gehetzt von der Meute "

Im Nacken der Mercedes 230 SL Pagode ist auf unwegsamen Paßstraßen u.a. ein Citoen DS 19

"Gehetzt von der Meute "


- Eine Strapaze für Mensch und Auto -

Man muß die schwierigen Streckenteile vorher abfahren und das Bordbuch präparieren, und man darf dabei nicht das Fürchten lernen. Man muß die Ernährung auf die bevorstehenden Strapazen einstellen - bevorzugte, seheschärfende Speise der Rallyefahrer: Karotten - , man darf nicht viel trinken. Man muß Konitionsübungen machen; harte Konditionübungen. Man muß sein Auto mit der Akribie der preußischen Oberrechungskammer herrichten. Und wenn man alles getan hat und der Start kommt und die lange Strecke, kann alles für die Katz gewesen sein, wenn man nicht auch Glück hat.

Und dennoch und trotz allem: Wenn im Spätsommer eines jeden Jahres die Rallye quer durch halb Europa gestartet wird, sind die ganz Mutigen immer wieder da, die es ernst meinen mit dem Ertasten des menschlichen Leistungsvermögens und keine brüllende Zuschauerkulisse brauchen, um sich zu bewähren - liebenswerte Fanatiker, wenn es so etwas gibt. Menschen, deren Passion es ist, an den Grenzen des Erreichbaren heimisch zu sein, Fahrer, die es lieben, ihren Wagen bis zum Äußersten zu erproben.

"Diese Rallye", sagt ADAC-Präsident Hans Bretz,
"ist die totale Herausforderung an Mensch und Auto. Sie hat nicht ihresgleichen."


In der Tat:
Diese Rallye ist eine Qual, eine wirkliche Marter weit jenseits dessen, was man normalerweise >Sport< nennt. Ein Renn auf dem Nürburgring ist ein runder Spaß daneben, und der Nürburgring ist immerhin die schwerste Rundrennstrecke der Welt.
Ich weiß, wovon ich rede.

Zehn Tage vor dem Start fuhren KRISTALL-Fotograf Frank Müller-May und ich hinter dem Rallye-Europameister 1962 Eugen Böhringer und Co-Pilot Klaus Kaiser her, um die Vorjahressieger der Rallye beim Training zu begleiten. Sie trainierten zwischen Riva am Gardersee und dem Reschenpaß auf den kriminellen Pfaden des Passo del Gavia (2652 Meter) und des Passo Croce Domini (1892 Meter).
Aber trainierten sie den wirklich bloß?


 


- Alptraum von Kurven und Felsen -

Mit unglaubhafter Geschwindigkeit jagten wirden Gavia-Paß hinauf, zentimeterdicht an zackigen Felswänden vorbei, und einmal klopfte ein Fels mit bösen Geräuschen an unseren ächzenden Wagen. Wir schleuderten durch Spitzkehren, fegten haarscharf an entgegenkommenden Autos vorbei, deren Insassen eintsetzt das Kreuz schlugen. Wir hetztn unser Auto erbarmungslos durch knochenschüttelnde Schlaglöcher.

Entsetzte Ausflügler am Wegesrand rissen ihre Kinder mit sich und flüchteten in den Wald. Autotouristen drückten sich verängstigt in Ausweichplätze. Hirtenjungen rissen perplex ihre Mäuler auf und fürchteten um ihre Herden. Waldarbeiter schwangen berbiestert ihre Äxte in unsere Richtung und riefen uns Worte zu, die gewiß nicht fein und ganz gewiß angemesesen waren. Ich bitte sie alle, um Entschuldigung, denn wirklich: wir fuhren wie die Teufel.

"Wie die Teufel?"
lachte Eugen Böhringer später in irgendeinem italienischen Dorf beim
Mittagessen und trank genüßlich einen Viertel Roten.
"Spazierengefahren sind wir, gell, Klaus?"
Und Klaus Kaiser: "Hanno, bei d`r Rallye brauchet m`r nur die halbe Zoit."
Und Böhringer: "Und bei d`r Rallye kummet m`r hier nachts durch."

Sie lachten. Sie freuten sich. Sie weideten sich am Entsetzen und der Erschöpfung der neunmalklugen Journalisten. Und dann fuhren sie wieder vor uns her - >spazieren<, daß uns der Schweiß auf der Stirn trat und unser armes Auto immer werkstattreifer wurde.

Zurück vom >Training< hatte unser Wagen einen üblen Lenkungsdefekt, einen zerdroschenen Stoßdämpfer, rechts ein paar unansehnliche Erinnerungen an einen Felsen, das Radio hatte seinen Geist in einen Schlagloch aufgegeben, und bei der berwegenen Abfahrt von Stilfser Joch, der höchsten Paßstraße Europas (2757 Meter), streikten unsere Bremsen, machten den Unsinn nicht mehr mit und rauchten wie eine mittlere Bäckerei. Böhringer und Kaiser auf ihrem Mercedes 230 SL hatten keine Beschwerden und amüsierten sich.

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Seither wissen wir, was die Rallye Spa - Sofia - Lüttich ist. Und weil wir es seit dem Training wußten, bestaunten wir 48 Stunden vor dem Start in
einem kultivierten Haus in Stuttgarter Stadtteil Frauenkopf eine
charmante Frau, die uns Getränke anbot. Sie heißt Ewy Baronin Korff.

Bevor sie den stellvertretenden Leiter der Daimler-Benz-Sportabteilung heiratete, hieß die Schwedin Ewy Rosqvist und wurde weltweit bekannt, weil sie gelegentlich bei den härtesten Tourenwagen-Wettbewerben die männliche Konkurrenz in Grund und Boden fuhr, lächelnd und mit feinem Make-up im Ziel erschien und so tat
, als sei es selbstverständlich und keineswegs aufgrund, daß eine Frau
am Volant ein Meister ist.

"Haben Sie nicht wenigstens ein bißchen Angst vor der Rallye?" fragten wir sie.

Sie lächelte, goß mit gepflegten Händen Getränke ein und sagt: "Nicht vor dem Start. Vorher bin ich ruhig. Die Angst kommt - komisch, nicht? - , wenn alles vorbei ist. Die Nächte der Rallyes sind schlimm. Ich sehe dann immer die Abgründe und Kurven und Felsen, und ich denke dann immer: Wie konntest du bloß?"

"Und haben Sie Angst?
" fragten wir ihren Mann.

"Nein, wirklich nicht", sagte er. Und dann: "Ich weiß, daß meine Frau eine großartige Fahrerin ist. Und vor allem: ich weiß, daß sie kein Risiko eingeht."

"Weshalb auch? Ich mag nicht hart fahren", sagte die faszinierende blonde Frau, legte sich ihre Pelzstola um die schmalen Schultern und lächelte mit der Attitüde einer Frau, die es gewohnt ist, daß man sie immer ein bißchen wie ein Wundertier anguckt, das es eigentlich gar nicht geben dürfte.



Gruppenbild Rallye Monte Carlo 1963

Die Schwedin Ewy Rosqvist (re.)
auf dem Schoß von Eugen Böhringer.

Spontanes Mercedes Team-Foto
mit Beifahrern.
( - Rallye Monte Carlo 1963 - )

Bei Eugen Böhringer, dem Mercedes-Fahrer Nr.1, ist alles anders.
Obwohl er es bestreitet, wissen und fürchten seine Konkurrenten ihn, weil er immer an die äußerste Grenze geht, immer alles riskiert, von sich und von Klaus Kaiser und von dem Mercedes 230 SL, den sie bei der Rallye fahren, in jeder Sekunde das Letzte, daß Äußerste, das gerade noch Möglich fordert.

So ist er, der kleine, nette, unscheinbare 44 jährige Hotelier, mit dem Phantastisches vor sich gehen muß, wenn er sich in ein schnelles Auto setzt, Rallye-Europameister 1962 geworden. So ist er Sieger der Polen-Rallye 1961 und 1962 und Sieger der Deutschland-Rallye 1963 geworden. So hat er 1963 den >Großen Straßenpreis von Argentinien< und 1964 den >Großen Preis für Tourenwagen< auf dem Nürburgring gewonnen. So hat in diesem Jahr das belgische Publikum hingerissen und auch den fünffachen Grand-Prix-Weltmeister Fangio, als er beim 24-Stunden-Rennen von Francorchamps nachts in unglaublicher Fahrt Rundenrekorde fuhr. So hat er zweimal die gigantische Rallye Spa-Sofia-Lüttich gewonnen. So will er sie nun zusammen mit dem netten, jungen Klaus Kaiser, der immer die schwäbische Ruhe in Person ist, zum drittenmal gewinnen.

"Leben Sie gefährlich, Herr Böhringer?" fragten wir ihn.
"Nui, nui - woher denn !?" sagt er ein bißchen entrüstet. Und dann erkärt er, kräftig schwäbelnd, daß 80 Prozent der Schnellfahrerei durchaus kalkulierbares Risiko sei. "Und die anderen zwanzig Prozent?" - "Hano, die Umschtänd halt."


Flott unterwegs in Norditalien

auf der Passstraße "Passo di Xomo"

Auf der Paßstraße "Passo di Xomo"


- Das Schaf von Titograd -

Die Umstände also. Vom Glück spricht er nicht. Statt dessen bestellt er in seinem schönen gelegten Hotel in den Weinbergen von Stuttgart-Rotenberg - in der Garage: ein 230 SL und ein 300 SL, den er besonders liebt - noch ein Viertele Roten und amüsiert sich darüber, daß die Journalisten seinen Lebenswandel für
gefährlich halten, während doch selbst seine achtzigjährige Mutter,
wenn er zum Renn fährt, immer nur sagt:

"Hauptsache, Sohn, du kommst gesund wieder - und hast gewonnen."

Diesmal freilich sind die >Umschtänd< gegen Böhringer, der bei der letzten Rallye Spa - Sofia - Lüttich acht Pfund Gewicht verlor und dafür zusammen mit Ko-Pilot Klaus Kaiser 18 Silberpokale gewann:
Er wird Dritter.

Zum Sieg fehlt ihm bei der Ankunft in Lüttich genau die Zeit, die er und Klaus Kaiser auf den 5500 Kilometern durch lächerliche Pannen verloren: Ein Defekt an der Lichtmaschine, ein Schaden an der Motoraufhängung, zwei kaputte Reifen. Und vor dem jugoslawischen Titograd ist ihnen ein Schaf ins Auto gelaufen, so daß sie zwei Nächte - unter anderm über den Gavia-Paß! - nur mit halben Licht fahren konnten.


 


- Zerbeulte Autos, menschliche Wracks -

Die blonde Baronin Korff und Beifahrer Schieck auf einem Mercedes 220 SE sind Sechste. In einem einteiligen, engen, himmelblauen Anzug - was für ein Kontrast zum blonden Haar! - steigt die erstaunliche Frau am Ziel stürmisch umjubelt aus ihrem Auto, lächelt, winkt, läßt sich gratulieren. Aus der Nähe aber sieht man auch in ihrem Gesicht tiefe Spuren der 90-Stunden-Marter.

21 Wagen kommen ins Ziel; alle haben sie Strafpunkte. Niemand fuhr zur "Sollzeit" über den weißen Strich. 42 Fahrer haben die namenlose Tortur der 5500 Kilometer durchgestanden. Jede von ihnen - hier hat der Kalenderspruch seinen Platz - ist ein großer Sieger. Es hat, bewundernswert genug, auf der Strecke keinen bösen Unfall mit einem "zivilen" Vorkehrsteilnehmer gegeben.

Im Lütticher "Hotel de la Couronne", an einem festlich gedeckten Tisch, sitzen sie nun, die vier, die vor 96 Stunden auf die Reise gingen und - zwei Werkswagen sind ausgefallen - für Mercedes ins Ziel kamen. Sie essen mit mechanischen Bewegungen, sie haben rote Augen, ihre Hände greifen ein wenig zitternd nach den Weingläsern, und sind sie sind mit ihren Gedanken noch immer irgendwo auf den 5500 Kilometern, von denen die blonde Baronin nun schlimm träumen wird.

Eugen Böhringer hat ein graues, tief zerfurchtes Gesicht und sitzt zusammengesunken auf seinem Stuhl, und auch die beiden jungen Beifahrer Klaus Kaiser und Schieck sind fertig. Sie schmecken kaum , was sie essen; sie hören kaum die gutgemeinte Rede, die zu ihrem Ruhm am tisch gehalten wird. Sie sind menschliche Wracks. In ihren Gesichtern steht: "Nie wieder", aber niemand glaubt ihnen das, und sie selber glauben es auch nicht.

Morgen werden sie auf einem festlichen Bankett Silberpokale, monströse Geschmacklosigkeiten, wahren Kitsch erhalten. Weil sie und ihre Mercedes-Wagen durchhielten. 90 ewige Stunden lang. 5500 endlose Kilometer weit.

Hat das gelohnt?

Man fragt so etwas nicht.

Man kann nur, auch wenn man diese Rallye für einen Wahnwitz hält, Respekt haben: Die vier, und ihre Autos,haben Unnennbares geleistet.

Die Autos: Sie stehen abgesperrt und gut bewacht, in der Lütticher Innenstadt vor dem Haus der belgischen "Royal Motor Union", die Veranstalterin der Rallye ist. Auf den Kühlerhauben der malträtierten Autos liegen Blumensträuße wie auf Gräbern.Späte Passanten gehen an den Autos vorüber, schauen sich die Beulen an, sagen "Mon Dieu, 5500 Kilometer", schütteln verständnislos den Kopf und fragen:

"Wozu?"

Freilich: Das versteht nicht jeder. Die Fahrer aber sind schon wieder unterwegs.
Zum "Großen Straßenpreis von Argentinien". Distanz: 4779,6 Kilometer.

( Text: Rolf Winter - Zeitschrift "KRISTALL" 1964 )