Böhringer Jubiläum

( Ouelle: AMS/19 - September 82 )

Happy Birthday zum 70.ten



Bericht und Interview zum 70. Geburtstag von Eugen Böhringer

Der Rallye-Mann der frühen sechziger Jahre bewohne ein Haus in Stuttgart-Rotenberg, genau oberhalb der berühmten Stuttgarter Firma mit dem Stern im Markenzeichen. "Was heute beim Daimler läuft, kann ich von hier aus prima kontrollieren", strahlt der verschmitze Schwabe.

Böhringer war vor zwei Jahrzehnten für Daimler-Benz Gold wert: Er gewann 1962 klar die Rallye-Europameisterschaft und sorgte im gleichen Jahr für einen Mercedes-Sieg bei der legendären Straßen-Wettfahrt Lüttich-Sofia-Lüttich.

Der kleine Schwabe war stets als Kämpfernatur bekannt. Journalisten bezeichnet ihn als den "Nurmi des Motorsports". Denn schon immer hatte Böhringer Steherqualitäten im Stile des großen finnischen Marathon-Läufers bewiesen. Auf der Hitliste seiner Rallye-Erfolge kennt der Schwabe nur eine Nummer eins: seinen Sieg bei der Langstreckenfahrt von Lüttich nach Sofia und zurück.

Diese Monsterschlacht wurde trotz zunehmender Verkehrsdichte bis 1965 durchgeführt, danach sigte die Vernunft und machte den Klassiker den Garaus.

Die 5500 Kilometer lange Jagdt von Belgien nach Bulgarien und zurück bewältigten Böhringer und seine Kollegen in rund 94 Stunden.

Zwangspausen, wie sie heute bei Rallyes üblich sind, waren noch nicht erfunden worden. Lediglich und Sofia, nach zwei Tagen und Nächten Nonstop, gestanden die Organisatoren den Teilnehmern eine 60 minütige Pause zu. Diese Stunde reichte für ein Bad, eine Rasur und einen Teller heißer Suppe. Böhringer: "Anschließend sind wir wie neugeboren ins Auto geklettert."

Liège - Sofia - Liège 1962



Wurde während der Mammut-Fahrt in Deutschland und Österreich penibel auf die Einhaltung eines Bestimmungen entsprechenden Tempos geachtet, so eskalierte die Fahrt in Italien und vor allem in Jugoslawien unvermittelt zum Straßenrennen ohne Beschränkungen. Die Route führte über Asphalt-Pisten und winkelige Schotterpässe. Als Gegner Nummer eins mußten die Teilnehmer den unberechenbaren lokalen Gegenverkehr fürchten.

Während den Behörden offizell eine gemächliche Touristen-Tour vorgegaukelt wurde, bekamen die Teilnehmer rechtzeitig eine korrigierte Marschtabelle zugeschickt. "Wer immer zur vorgeschriebenen Idealzeit an den Kontrollen stempelte, der war in Sofia wegen Zeitüberschreitungen aus dem Rennen", erinnert sich Altmeister Böhringer, an dessen Seite 1962 Herrmann Eger für die Navigation und die Einhaltung der Marschgeschwindigkeit sorgte. Eger, ein ebenso flinker Schrauber wie gewiefter Co-Pilot, hatte schon 1955 zusammen mit Hans Herrmann die Mille Miglia in Italien bestritten.

Mit dem geübten Mechaniker auf dem Beifahrersitz war Böhringer nie schlecht bedient. Diese Erfahrungen machte der Schwabe bereits vor dem Start in Lüttich. "Herrmann sollte das Auto in den Hotelhof rangieren, und wir hörten dabei ein verdächtiges Krachen beim Gangwechsel", erinnert sich der Mercedes-Fahrer. Neben dem getunten, 156 PS starken Motor hatte man den Mercedes 220 im Werk auch eine verstärkte Kupplung spendiert. Diese allerdings hatte gerade noch die Anreise von Stuttgart nach Lüttich überstanden. Bevor die Jagd über vier Tage und vier Nächte begann, schlugen sich die Schwaben, quasi zur Übung, eine zusätzliche Nacht beim Kupplungswechsel und die Ohren. Montiert wurde ein Serienteil, denn eine zweite Rallye-Kupplung hatte das Duo nicht im Gepäck.
Eger hatte eine ordentlichen Vorrat an Ersatzteilen im Kofferraum des Rallye- Autos gebunkert: Neben Keilriemen, Benzinpumpen, Stoßdämpfern, Lichtmaschine, Regler, zwei Ersatzrädern und zwei Benzinkanistern befanden sich dort diverse Ersatz-Schläuche und das nötige Werkzeug.
Mit diesem Ballast und einem 80 Liter-Tank wog der Daimler stattliche 1870 Kilogramm. Für die kommenden Schläge hatte man die Stoßdämpferdome verstärkt sowie härtere Dämpfer und Federn installiert. Auf Böhringers Wunsch zierte ein besonders geriffeltes Lenkrad das Cockpit. "Da wußte ich immer wie die Räder stehen", erklärt der ehemalige Rallye-Pilot, "schon damals haben wir mit allen Raffinessen gearbeitet."

Den Diagonalreifen von Continental hatten die Rallye-Piloten ihr besonderes Augenmerk geschenkt: "Für die Schotterstraßen in Italien und Jugoslawien wurden zusätzliche Querfugen eingeschnitten", verrät Eger. Die beiden mußten mit der Gummiware haushalten - nur an vier Punkten der 5500 Kilometer langen Routen konnten neue Pneus gefaßt werden.

Böhringers Rallye - Leben hatte wenig gemein mit dem heutigen Rallye-Geschäft. Er pilotierte zwar einen Werks-Mercedes , einen Fahrervertrag hatte er indes nie. Als einziges Papier unterschrieb der Schwabe stets einen Leihvertrag, wenn er den Rallye-Mercedes in Untertürkheim an der Pforte abholte. Als Entschädigung für seine Mühe kassierte er zwischen 70 und 100 Mark an Tagesspesen, die "aber schon damals in Frankreich nicht ausreichten", wie Böhringer, als gelernter Koch den französischen Gaumenfreuden nicht gerade verschlossen, noch heute etwas säuerlich verrät.

Nach erfolgreicher Zielankunft spendierte die Firma ihren Werkspiloten dann ein Preisgeld. In diesen Genuß kam Eugen Böhringer in seinem ersten Daimler-Jahr 1960 allerdings nur selten.

"Manchmal", bekennt der Mercedes-Mann habe er schon ein Auto "aufs Dach gestellt", Und Rennleiter Karl King mutmaßte meist, wenn Böhringer von Rallye-Ausflug heimkehrte: "Ich brach' gar nicht aus dem Fenster zu sehen, das Auto ist ja doch krumm." Darauf erwiderte sein Pilot oft: "Sie haben schon recht, Herr Kling." Böhringers oberster Chef, Technik-Direktor Professor Dr. Fritz Nallinger, nahm den wilden Böhringer einmal zur Seite und erklärte: "Nur ein Auto, das ins Ziel kommt, kann auch gewinnen, Herr Böhringer."

Nallingers Rat fruchtete. Böhringers Siege bei den Rallyes in Griechenland und in Polen stempelte den Mercedes-Lenker 1962 zum klaren Favoriten in der Europameisterschaft.

Die glücklichen Sieger Eger / Böhringer in Lüttich 1962
Kleine Pause zum rasieren und dann gleich weiter ......

Auch die Reise von Lüttich nach Sofia verlief zunächst programmgemäß.

"Auf bequemen Strecken haben wir ständig gewechselt, nur auf den knappen Etappen bin ich gefahren, und der Herrmann hat die Kurven angekündigt. Ansonsten hatte jeder von uns die Route exakt im Kopf, und einer konnte sich immer ausruhen", erinnert sich der Rentner. Seine Kalkulationen wurden dann aber plötzlich durch einen Defekt über den Haufen geworfen.
Kurz vor dem jugoslawischen Seebad Dubrovnik streikte der Regler der Lichtmaschine. Für einen schnellen Werker wie Herrmann Eger kein Problem: " Aber in der Hektik sind zwei Schrauben in den Sand gefallen", erinnert sich Eger noch heute voller Grimm, denn die verlorenen 15 Minuten hatten weitere Folgen. Bei der Aufholjagd rutschte sein Chauffeur von der Piste und räumte breitseits einen Telefonmasten aus dem Weg. Der Mast knickte, und die Beifahrertür konnte fortan nicht mehr geöffnet werden, aber der Mercedes setzte seine Fahrt unbeeindruckt fort.

1962 wurden die Startnummern nicht wie heutzutage nach der Qualifikation des Piloten ausgegeben, sondern durch Los ermittelt. Das Mercedes-Team hatte einen unglücklichen Griff und hohe Nummer 82 gezogen. "Zum Sieg müssen wir mindestens 40 Autos vor uns überholen, und das im Staub der Schotterstraßen", kalkulierten die Schwaben und ersannen eine gewagte List. An jeder Kontrolle stempelte das Mercedes-Duo etwas spät, nutzte die vom Veranstalter genehmigte, straffreie Karenzzeit, ließ sich so insgesamt zwei Stunden hinter das gesamte Feld zurückfallen - und balacierte ständig am drohenden Ausschluß entlang.
"Wir konnten nun ohne Überholen und Staub fahren, ein Defekt oder eine zusätzlicher Zeitverlust hätte uns aber unweigerlich aus dem Rennen geworfen", erinnert sich Herrmann Eger und kramt eine weitere brenzlige Situation aus dem Gedächnis: "Plötzlich kamen uns einige Teilnehmer entgegen." Die Erklärung lieferte Böhringers Markenkollegin Ewy Rosqvist: Ein defekter Lastwagen versperrte einen Engpaß, das Feld suchte deshalb nach einer Umgehungsstrecke.
Nicht aber Böhringer."Hermann, wir müssen da durch", lautete die Befehlsausgabe. Vor dem Nadelöhr gab Böhringer Gas. Auf der Strecke blieben zwei abgerissene Türgriffe, einer wurde am Felsen abgestreift, der andere am Lastwagen, "aber das Auto war ja ohnehin schon beschädigt", grinst Böhringer und freut sich noch heute diebisch über die verdutzten Gesichter der Konkurrenten, als sich der Mercedes plötzlich wieder im Hauptfeld tummelte.
Durch Jugoslawien und Italien saß Böhringer nicht weniger als 20 Stunden hinter dem Steuer. Wie hält man sich drei Tage und drei Nächte wach? Böhringer: "Für Motivation sorgte der knappe zeitplan. Die körperliche Fitness garantierten Traubenzucker, Milch und Unmengen an Wasser."
An Bord der Rallye-Wagens herrschte eiserne Disziplin: "Wenn einer müde wurde, dann haben wir sofort gewechselt, wenn es nicht gerade auf einer knappen Etappe passierte, aber da hatte man ja ohnehin keine Zeit", erklärte der Mercedes-Pilot.
In Linda erfuhren Böhringer und Eger, das sie in Führung lagen, an die folgende Zeitkontrolle in Ulm erinnert sich Böhringer mit besonderer Freude: Dort wartete Konkurrent und Freund Paul-Ernst Strähle aus Schorndorf. Er war mit seinem Porsche schon längst ausgefallen und wetterte voller Zorn über einen Spitzbuben, der in Bosnien doch glatt einen Telefonmast umgefahren hatte: Strähles Porsche hatte sich in den Telefonkabel festgefahren. Böhringer teile vorsichtshalber erst später mit, das der Spitzbub er gewesen war.
Zielankunft 1962 in Liège



Nach vier Tagen und vier Nächten hatten Eugen Böhringer und Herrmann Eger den "Marathon de la Route Liège - Sofia - Liège" als Sieger mit einer Strafzeit von 53 Minuten hinter sich gebracht. Und in Stuttgart stand vor Karl Klings Büro wieder einmal ein ziemlich verbeulter Mercedes :-))


 



 


Weitere Presseberichte folgen in kürze .....