Der 230 SL im Motorsport

( Ouelle: Mercedes SL Sachbuch )



Spa-Sofia-Lüttich 1963




Eugen Böhringer, der biedere Schwabe mit der Stirnglatze, den flinken Augen, dem schweren Gasfuß und dem großen Fahrerherzen, muß die schwere Last tragen, dem 230 SL zu motorsportlichem Lorbeeren verholfen zu haben. Obwohl inzwischen fast drei Jahrzehnte vergangen sind, trägt er diese Last immer noch mit Freuden und knitzen Augen. Allen Nichtschwaben sei gesagt: Knitze Augen sind wache, pfiffige Augen. Aber Eugen Böhringer ist nun einmal Urschwabe. Und nur solche haben knitze Augen.



Als Entdecker des 230 SL für den Motorsport erinnert er sich noch sehr genau, wie er seinerzeit auf den Gedanken kam, mit dem 230 SL die viertägige Nonstop-Rallye Spa-Sofia-Lüttich zu fahren:

>> Als wir mit dem Karl Kling, er war unserer Rennleiter, Anfang 1963 überlegten, wie ich wieder Rallye-Europameister werden sollte, kamen wir zwangsläufig auf SPA-SOFIA-LÜTTICH. Diese Mammut-Rallye hatte ich im Vorjahr (1962) zusammen mit Hermann Eger auf dem 220 SE-Heckflosse gewonnnen. Da die Ausschreibung relativ frei war und ich wußte, wie es in den jugoslawischen und italienischen -Bergetappen zuging, war mir klar, daß man da mit einem kleinen, wendigen Auto besser dran ist, als mit dem 230 SL. Karl Kling hat dann meine Vorstellung dem Professor Nallinger vorgetragen, und der fand die Idee nicht schlecht. Da Problem wr nur, wir hatten noch gar kein Auto. Der Professor Nallinger hat uns dann nach Genf eingeladen, wo das Auto vorgestellt wurde und auch der Vorstand anwesend war. <<
Als wir dann in Genf waren, meinte Professor Nallinger dann zu mir in Anwesenheit des Vorstands:
>>So Herr Böhringer, nun sagen Sie mal ihr Sprüchle auf<<
Als ich dann mit meinem kleinen Vortrag fertig war, herrschte nicht einmal richtig vorgestellten Auto zu verlieren, war groß. Dr. Langheck meinte: >>Wir haben so viele Fenster, wo wir Geld rauswerfen können, da brachen wir nicht noch ein weiteres >>
Aber Exportchef Arnold Wychodil und auch Vorstand Rolf Staelin waren dafür und irgendwie hat sich der Vorstand dann doch geeinigt.
>>In der technischen Vorstandssitzung vom 25.März 1963 beantragte Professor Dr. Nallinger drei 230 SL für die Entwicklung. Davon war ein Fahrzeug für den Einsatz bei der Rallye Spa-Sofia-Lüttich vorgesehen.
>>Da hat der Nallinger im Vorstand noch a bissle gschobe<<, womit Eugen Böhringer meint, er hat sich durchgesetzt. Auch an die Vorbereitungen erinnert sich Böhringer genau:
>>Das Auto wurde dann aufgrund unserer Erfahrungen vorbereitet. Auf der Schlchtwegstrecke der Versuchsbahn wurde immer wieder erprobt, was noch alles kaputtgehen konnte. Das Auto bekam eine kurze Hinterachsübersetzung (i= 4,56, der Autor) und ein verstärktes Differenzial.




Am 23. April 1963 avisierte
Baron Alexander von Korff der Presseabteilung den Start von zwei Fahrzeugen bei der Rallye Spa-Sofia-Lüttich. Es waren dies der rote 230 SL mit der Fahrgestellnummer 14 und dem polizeilichen Kennzeichen S-RV 441 mit dem Fahrern Eugen Böhringer und Klaus Kaiser sowie ein 220 Seb mit den Fahrern Dieter Glemser und Alfred Kling. Dieser 220 SE, das sei am Rade erwähnt, hatte sogar eine Bohrung von 84 mm und kam so auf einen Hubraum von 2460 cm³, weshalb er in der Kategorie Tourenwagen >Speziale< gemeldet werden mußte.
Am 12. Juli 1963 meldete von Korff per Einschreiben bei der ONS in Frankfurt die zwei Fahrer Eugen Böhringer und Dieter Glemser sowie Ewy Rosquist. Nachdem die Copiloten noch nicht definitiv feststanden, bat er vorläufig um Startgenehmigung von Hermann Eger und Klaus Kaiser. Diese erteilte die ONS am 16. Juni 1963.
Am 12. August 1963 bestätigte von Korff Monsieur Garot in Lüttich die Beifahrer Kaiser und Kling. Gleichzeitig teilte er den Startverzicht von Ewy Rosquist mit. Die Vorbereitungen liefen auf Hochtouren. Die Fahrer wurden mit 100.000 Mark für den Todesfall, 150.000 Mark für Invalidität und 15.000 Mark für Heilkosten für die zeit vom 12. August bis 5. September 1963 versichert.

In der Zwischenzeit hatten die Teams mit normalen Autos ausgiebig die Strecken abgefahren und das "Gebetbuch" erstellt, aus dem Kaiser seinem Piloten Böhringer während der Fahrt "vorzubeten" hatte. Mit Zelt, Spirituskocher und Kochtopf hatten sich die beiden Musketiere 18 Tage lang durch jugoslawisches Karstgebirge und italienische Alpen geschlagen, auf das ihnen ja keine Felswand entginge. Jacques Ickx (ein bekannter Motorsport-Journalist und Vater des sechsmaligen Le Mans-Gewinners und Maurice Garot, die Köpfe der Veranstaltung, hatten die zeitetappen zum Teil in die Nacht gelegt.

"Der Professor Nallinger", fährt Eugen Böhringer fort, "hatte mich vorher noch mal ins Gebet genommen. Er sagte mir: >Herr Böhringer, ein Auto, das nicht ans Ziel kommt, kann nicht gewinnen< Da war mir klar, was das bedeutet. Immerhin hat der Professor diesen Einsatz mehr oder weniger auf seine Kappe genommen."


Als am 31. August 1963 der rote 239 SL mit der Starnummer 39 nach 92 stündiger Hetzjagd quer durch Europa in Lüttich einlief, hatten die beiden erschöpften Fahrer nicht nur gewonnen: Sie hatten auch das Kunststück fertig gebracht, sich nur acht Strafpunkte unterwegs einzuhandeln. Von 119 gestarteten Fahrzeugen hatten übrigen nur 20 das Ziel erreicht.

Aber nicht nur für Eugen Böhringer und Klaus Kaiser war dies ein schöner Erfolg: Auch die Konkurrenz sparte nicht mit Lob und Anerkennung.



Mercedes 230SL beim Goodwood - Festival 2001 / GB



Spa-Sofia-Lüttich 1964

Als Dienstag, 25. August 1964, um 22.00 Uhr Eugen Böhringer und Klaus Kaiser in Spa auf die 6600 km weite Reise der Rallye Spa-Sofia-Lüttich geschickt wurden, waren sie nicht nur die Stars, des aus vier Fahrzeugen bestehenden Mercedes-Benz Teams. Sie waren auch, neben Rauno Aaltonen, Erik Carlsson, Pat Moss-Carlson, Lucien Beanchi oder Vic Elford eines der hoch gehandelten Favoritenteams dieser Veranstaltung. Böhringers vierter Platz 1961 und seine Gesamtsiege von 1962 und 1963 machten ihn ganz automatisch zum hochgewetteten Hoffnungsträger für den Sieg 1964.
Am 26. August war die Mercedes-Crew die Welt noch in Ordnung. Alle vier Teams lagen in Lindau noch mit Zeitvorsprung im Spitzenfeld. Das Citroen-Team Lucien Bianchi / Ogir, im Vorjahr Dritter, hatte schon Zeit eingebüßt.
Am 27. August zeigte Ewy Rosquist mit ihrem 220 Seb den Männer am Volant, was Autofahren ist. Zwischen Novi und Zagreb blieb sie vier Minuten unter der schon knapp angesetzten Sollzeit von 2h30. Diese Sollzeit wurde außerdem nur noch von Erik Carlsson ("Carlsson on the roof" wurde er wegen seiner Vorliebe für Überschläge genannt) auf Saab, Bianchi auf Citroen und Vic Elford auf dem Ford Cortina erreicht. Rauno Aaltonen auf dem Austin Healey 3000 verlor sage und schreibe 15 Minuten.
Auch Böhringer mußte ernüchtert feststellen, daß sich die Glücksfee diesmal offensichtlich einen anderen Libeling auserkoren hatte. Hatte er sie geärgert? Heute dazu befragt, meinte er in schönstem Schwäbisch:

"I wois es net, es isch oifach net so gloffe."

Ein Kabel zur Lichtmaschine riß an der Klemme 30 ab. "Bis wir das gefunden hatten, lief uns die Zeit weg und somit auch die Konkurrenz."
Im täglichen Presse-Bulletin von Daimler Benz laß sich das so:"Eugen Böhringer auf Mercedes Benz 230 SL verlor durch einen lächerlichen Kabeldefekt 25 Minuten." Dazu nochmal Böhringer selbst :"Lächerlich hin, lächerlich her - die 25 Minuten haben uns eben gefehlt."


In der Nacht vom 28. auf den 29. August (Mittwoch auf Donnerstag) lief es bei Böhringer / Kaiser planmäßig. Sie konnten immerhin fünf Minuten ihrer fast halbstündigen Verspätung abbauen. Was sich heute so trocken liest, war härteste Arbeit am Lenkrad bei äußerster Konzentration. Da saß jeder Schaltvorgang, da stimmte jede Ansage aus dem Gebetbuch, wie das Roadbook damals genannt wurde. Wehe, wenn sich da nur der kleinste Fehler eingeschlichen hätte...
In Novi wuchsen die Fehlzeiten wieder an. Aalton verbuchte 16 Minuten, Böhringer 30 Minuten, Erik Carlsson und Pat Moos-Carsson in ehelicher Eintracht 39 Minuten. Das Roulette Spa-Sofia-Lüttich lief unerbittlich. Fuhren in Ogulin noch 72 Teams durch die Kontrolle,, so erreichten lediglich 57 Fahrzeuge Zagreb.
Am 30. August hatten in Sofia gar nur noch 44 Fahrer die 3000 Rest-Kilometer nach Lüttich vor sich. Nicht nur der Staub, auch die drückende Hitze, die selbst nachts das Thermometer auf 30°C hielt, erschwerte den Teams das Fahren. Und Böhringer hatte wieder Grund, mit der Glücksfee ein wenig zu hadern, denn er hatte "Schwein mit dem Schaf". Das Wolltier stand einfach im Weg, als der eilige Balkantourist dahergeschossen kam. Im Grunde hielt sich der Schaden dieser Karambolage in Grenzen, aber der Ausfall des linken Scheinwerfers und der beiden linken Zusatzscheinwerfer war ein bitteres handicap. Die harten Pässe, wie zum Beispiel Gavia und Stilfser Joch, die als Zeitetappen immer nacht zu fahren waren, lagen noch vor dem Team. Aber auch Reifendefekte entwickelten sich für das siggewohnte Duo zu einer wahren Seuche. Der erste Reifendefekt stellte sich zwischen Novi und zagreb auf Geröll ein, der zweite vor Sofia auf Asphalt, der dritte zwischen Perast und Stolac auf Geröll und der fünfte Reifen gab zwischen Otravac und Novi - ebenfalls Geröll - seinen Geist auf. Nägel und Reifendurchschläge waren die Ursache der außerplanmäßigen Luftverluste. Aber auch die große Hitze und die stärkeren Motoren erhöhten den Reifenverschleiß. Dringend vermißte Böhringer ein Sperrdifferential, und die Bremswirkung bei Paßfahrten empfand er als nicht ausreichend.Zwischen Stolac und Split hatten sich Böhringer / Kaiser auf den dritten Platz hinter Aaltonen und Carlsson vorgekämpft.

Nach 23 weitere Equipen würgten sich durch Staub und Hitze in Richtung Lüttich, ohne auch nur den hauch einer Siegeschance zu haben.Eugen Böhringers Aufholjagd der letzten Nacht wurde abermals durch zwei Reifenpannen gebremst.



Als Dritte kamen sie hinter Rauno Aaltonen und Erik Carlsson in Lüttich an. "Ein wenig Pech", meinte Eugen Böhringer zu dem Ergebnis und freute sich trotzdem über den dritten Platz. Als besondere Auszeichnung wurde er als erfolgreichster Fahrer der letzten Jahre mit dem Goldpokal ausgezeichnet.

Böhringer und Kaiser in Lüttich 63







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